Der Professor auf dem Pferd
Zu dieser Anmerkung hat mich eine Kurznachricht in der heutigen Presse inspiriert. Das T. G. Masaryk-Museum in der westböhmischen Stadt Rakovník, das eine Zweigstelle in Lány, dem Sommersitz des tschechischen Staatspräsidenten, hat, will eine Sammlung veranstalten, aus deren Erlös in Lány ein Reiterstandbild Masaryks errichtet werden soll.
Für einen gänzlich uneingeweihten Menschen ist das ein etwas sonderbarer Einfall: Masaryk war Philosoph und Soziologe. Stellen Sie sich vor, man würde irgendwo ein Reiterstandbild Immanuel Kants oder Max Webers errichten! Der Einwand ist leicht demagogisch, weil Masaryk auch ein Staatsmann war, der erste Präsident der Tschechoslowakei. Und er war wirklich ein Reiter.
Im Übrigen war er unter den Oberhäuptern der mitteleuropäischen Kleinstaaten nicht allein. Auch der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy oder der polnische Marschall Józef Pilsudski waren Reiter und ließen sich hoch zu Ross malen oder fotografieren. Beide waren allerdings Berufssoldaten. Dagegen waren alle drei Präsidenten der Ersten Republik Österreichs Zivilisten und demnach Fußvolk.
T. G. Masaryk war scheinbar so etwas wie ein Übergangstyp. Das Reiten war Teil seines Präsidentenimages. Seine größten Schlachten schlug Masaryk einst auf akademischem Boden. Wenn er hoch zu Ross zur Universität gekommen wäre, hätte man ihn ausgelacht. In der Zeit der sich um einen angeblichen Ritualmord drehenden Affäre des Juden Leopold Hilsner leistete Masaryk stundenlang wütenden Studenten Widerstand, die versuchten, ihn durch Gebrüll zum Schweigen zu bringen. Er trotzte ihnen als Fußsoldat. Als der eigenständige tschechoslowakische Staat entstand, genügte gewöhnliche Zivilcourage nicht mehr. Den staatlichen Institutionen musste Ansehen eingehaucht werden, was beim tschechischen Volk mit seiner Neigung zum Querulantentum manchmal schwer ist. Zudem kannte damals niemand Masaryk wirklich gründlich – vor dem Krieg galt er als intellektueller Störenfried und hatte einen verhältnismäßig kleinen Anhängerkreis. Deshalb fühlte er offensichtlich selbst das Bedürfnis, nach bewährten Symbolen zu greifen. Er trug sogar so etwas wie die einfache Version einer Uniform: mit einem dreifarbigen Band an der Mütze, aber ohne Orden und Epauletten. Masaryk glaubte, das Volk brauche dies, und dem Volk tat das gut. Es ist merkwürdig, dass das den Menschen auch jetzt gut tut, obwohl es von den heutigen Präsidenten niemand mehr verlangt.
Das Reiterstandbild T. G. Masaryks wird angeblich an die zwei Millionen Kronen kosten. Das ist lediglich die doppelte Summe, die sich der junge sozialdemokratische Ex-Ministerpräsident Stanislav Gross für seine Wohnung geliehen hatte und die ihn um die politische Karriere brachte. Schätzungen sind freilich normalerweise ungenau: Eine richtige Reiterstatue muss auf einem Hügel stehen (siehe Hussitenführer Jan Žižka auf dem Prager Vítkov-Berg oder der österreichische Feldherr Eugen von Savoyen in Ofen, dem früheren Buda). Die Gemeinde Lány liegt - insofern ich mich gut daran erinnere - in einer ziemlich flachen Gegend. Es wird also notwendig sein, zuerst einen Hügel aufzuschütten. Und das wird das ganze Projekt etwas kostspieliger gestalten.
5. März 2006