Les voyages à travers le temps
Der Titel bedeutet „Zeitreisen“ (hoffentlich habe ich ihn nicht verstümmelt, mein Französisch ist nicht perfekt). So hieß in der Übersetzung ein Buch amerikanischer Sci-fi-Erzählungen über Wanderungen durch die Zeit, das mir irgendwann in den siebziger Jahren in die Hände geriet. Vor allem eine der Geschichten ist mir in Erinnerung geblieben: Die Menschen aus der künftigen irdischen Zivilisation beherrschen die Kunst der Rückreise in die Vergangenheit und suchen wichtige Ereignisse der menschlichen Geschichte auf – mit besonderer Vorliebe dann die fürchterlichsten Naturkatastrophen. Selbstverständlich beobachten sie diese aus sicherer Entfernung. Und so bezieht eine Gruppe in der Villa eines völlig ahnungslosen Amerikaners Quartier. Dieser Mensch ahnt nicht, wer sie sind, warum sie gekommen sind und warum sie sich gerade ihn ausgesucht haben: Auf seine Stadt soll nämlich ein Meteorit niedergehen, der sie quasi von der Erdkugel fegt, und er selbst stirbt nach ein paar Tagen bei der nachfolgenden Pandemie. Die Touristen aus der Zukunft passen nämlich sehr gut auf, dass sie nach ihrem Besuch sämtliche Spuren verwischen. Sonst könnten sie mit einem indiskreten Eingriff in die Vergangenheit ihre Gegenwart in Bewegung setzen.
Besonders hübsch ist in der Erzählung der leicht angeekelte Abstand beschrieben, aus dem die pieksauberen und hochzivilisierten Besucher aus der Zukunft den rückständigen Schmutzfinken aus dem zwanzigsten Jahrhundert behandeln.
Während des vergangenen Regimes tauchte diese Erzählung immer in meiner Erinnerung auf, wenn sich zu Ostern eine Besucherwelle aus dem Westen über unseren totalitären Schmutz und die herrschende Unordnung ergoss. Die Touristen konnten selbstverständlich nicht dafür: Die Situation hatte sich einfach so entwickelt.
Und jetzt habe ich mich an diese Erzählung erneut im Zusammenhang mit der Tragödie in Südostasien erinnert. Für die Besucher aus der (unsrigen) Zukunft waren dort luxuriöse Tourismusparadiese erbaut worden. Weil ein alzu enger Kontakt mit der (dortigen) Vergangenheit den Touristen zumindest Darmbeschwerden verursachen könnte, ist zwischen beiden Welten eine unsichtbare Mauer emporgewachsen. Ich möchte diese nicht auf marxistische Art und Weise dämonisieren. Sie wurde zur Zufriedenheit beider Seiten geschaffen: Die Einheimischen haben ihr Einkommen und die Touristen phantastische Erlebnisse. Theoretisch sollten sich auf diesem Weg schrittweise die Unterschiede zwischen beiden Welten verwischen. In der Praxis funktioniert dies aber nicht allzu sehr.
Dann überrollte alles eine riesige Welle und brachte die unsichtbare Mauer zum Einbruch. Sie vermischte die Besucher aus der Zukunft und die Einheimischen in einer grauenhaften Suppe. Sic transit gloria mundi! Offenbar waren in diesem Augenblick beide Lager gleichgestellt. Und 14 Tage nach dem Tod, bei 30 Grad Wärme, kann man meiner Meinung nach auch nicht mehr gut erkennen, wer ein Tourist und wer ein Eingeborener war.
Dennoch beschweren sich jetzt die westlichen Staaten, dass in Thailand, in Indonesien und auf Ceylon die Leichen ihrer Bürger in Massengräbern bestattet werden. Ich verstehe den Schmerz der Hinterbliebenen und ihr Verlangen, ihren Angehörigen zumindest ein christliches Begräbnis auszurichten. Aber zugleich kann ich mir vorstellen, dass diese Länder ein Problem haben: Ihre primäre Sorge ist der Schutz der Überlebenden vor Seuchen. Ihre Mittel sind beschränkt und die Identifikation der Toten nach so langer Zeit und noch dazu in den Tropen ist äußerst mühsam. In einer derartigen Situation hat auch der letzte lebende Eingeborene das Vorrecht vor dem priviligiertesten toten Deutschen oder Schweden. Die westlichen Länder versuchen, die unsichtbare Barriere in einer Situation zu erhalten, in der das – wie man so schön sagt – eher kontraproduktiv ist. Es müsste mit stichhaltigen Argumenten begründet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, mit welchen.
Ich wollte etwas zu der Naturkatastrophe zur Weihnachtszeit in Südostasien schreiben, was wahrscheinlich schon jeder tschechische Publizist gemacht hat. Es sieht so aus, dass das, was nun entstanden ist, unser Herr Präsident Klaus als typisch links bezeichnen würde, wenn dies nicht tief unter der Schwelle seines Unterscheidungsvermögens liegen würde. Aber ich kann mir nicht helfen. Man hat mir das als Kind in der Sonntagsschule beigebracht.
7. Januar 2005