Schreiben des Herausgebers der Tageskommentare „Ereignisse“ an den Ministerpräsidenten der Republik Fidschi

Herr
Laisenia Qarase
Ministerpräsident der Republik Fidschi

Prag, den 6. Dezember 2003

Eure Exzellenz, sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Aus unserer Presse habe ich erfahren, dass sich die Einwohner einer Gemeinde Ihres Landes bei den Nachfahren eines Missionärs entschuldigen wollen, der vor 150 Jahren von ihren Vorfahren gegessen wurde, und dass Sie beabsichtigen, diesem Akt der Entschuldigung mit Ihrer persönlichen Anwesenheit Gewicht zu verleihen.

Meiner Meinung nach begehen Sie eine große Torheit. Deshalb möchte ich Ihnen einige praktische Ratschläge für den Umgang mit dem brisanten Erbe der Vergangenheit geben. Ich gehe dabei von unseren tschechischen Erfahrungen aus: In unserem Fall ging es zwar nicht direkt um Kannibalismus, dafür spielte sich das Ganze vor nur fünfzig Jahre ab. Die Technik, die wir für die „Entsorgung“ der Trümmer der Vergangenheit gewählt haben, ist so einfach wie das Ei des Kolumbus.

Im Prinzip ist davon auszugehen, dass eine Entschuldigung eine sehr gefährliche Angelegenheit ist: Sie müssen damit rechnen, dass es nicht bei der einen bleiben wird, wenn Sie sich für den aufgegessenen Missionär entschuldigen. Zudem rücken Sie damit alle Ihre Mitbürger in ein schlechtes Licht, überdies alle, die sich früher dem Kannibalismus hingaben oder ihm sogar noch heute huldigen. Unwiederbringlich schaden Sie damit den nationalen Interessen Ihres schönen Landes. Entschuldigen kann man sich freilich – doch nur für Dinge, für die man nachweislich nicht verantwortlich ist: z. B. für die Grausamkeiten der Inquisition, für die Kreuzzüge, die Ausrottung der Burgunder usw.

Ihr wichtigster Grundsatz sollte es sein, dass das Problem des aufgegessenen Missionärs historisch - im zeitlichen Kontext – zu sehen ist. Dabei gelten zwei Thesen:

a) Der Kannibalismus ist aus heutiger Sicht zu verurteilen. Das bedeutet, dass in der Zeit, in der der Missionär aufgegessen wurde, die Verspeisung von Mitmenschen üblich war, und man sich somit nicht dafür schämen muss. Das bestätigt jeder, der einmal die Fidschi-Inseln besucht hat.

b) Der Kannibalismus kann nicht unter Umgehung der Kette von Ursache und Folge verstanden werden. Ursache war offensichtlich die britische kolonialistische Unterdrückung, die Verspeisung des Missionärs dann eine logische und unabwendbare Folge.

Daraus ergibt sich, dass sich in erster Linie die Briten entschuldigen müssen. Sie sollten Verhandlungen mit London initiieren, bei denen Sie – unterstützt durch die fortschrittliche öffentliche Meinung in der Welt – Großbritannien dazu bringen, sich zur Entschädigung aller Opfer des Kolonialismus und ihrer Nachfahren zu verpflichten. Gleichzeitig zahlt London finanzielle Mittel in einen Fonds ein, der die Forschungsarbeiten Ihrer Historiker über die Normalität des Kannibalismus als Folge fremder Verbrechen finanzieren wird.

Die dummen Briten werden sicherlich in der Hoffnung bezahlen, dass auch Sie in Zukunft ein Wort des Bedauerns über die Überreste der Verzehrten fallen lassen. Sie warten ab, bis die einstigen Kolonialherren die Reparationen blechen, und dann erläutern Sie den Briten, dass die Vergangenheit den Historikern zu überlassen ist (nämlich den Ihrigen, die aus dem erwähnten Fonds bezahlt werden) und die Hauptaufgabe jetzt Zukunftsprojekte sind, in erster Linie die, die der britische Partner bezahlt.

Erscheint Ihnen das unglaublich, ja verrückt? Aber wo denken Sie hin! Ich versichere Ihnen, dass das bei uns in Europa funktioniert.

Hochachtungsvoll
Bohumil Doležal
Herausgeber der Tageskommentare „Ereignisse“