Kritisiere Israel, du stärkst den Frieden

Einer für die Bedürfnisse der EU erstellten Meinungsumfrage zufolge gehen 59 Prozent der Bürger der bisherigen Mitgliedsländer der Union davon aus, dass Israel gegenwärtig die größte Gefahr für den Weltfrieden bedeutet. Eine größere Gefahr als der Irak, eine größere als Afghanistan, eine größere als Nordkorea und sogar eine größere Gefahr als die USA (was im Falle der Westeuropäer wirklich aufschlussreich ist).

Zugleich waren ganze 81 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Europäische Union bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts eine Schlüsselrolle spielen sollte.

Die westeuropäische Empörung über Israel ist letztendlich verständlich. Welche Ruhe und welcher Frieden könnten auf der Welt herrschen, wenn dieser winzige Staat nicht ständig Probleme machen und sich in Ruhe mit seinen Nachbarn verständigen würde. Einen derartigen Standpunkt nimmt der Westen im übrigen nicht zum ersten Mal ein. Genauso hat er sich im Herbst des Jahres 1938 gegenüber der Tschechoslowakei verhalten. Ähnlich verhielt er sich gegenüber denen, die ab der Mitte der fünfziger Jahre den Tauben im Kreml bzw. auf der Prager Burg ihren Kampf mit den Falken komplizierten. Zufriedene, gesetzte und feiste Spießbürger, überzeugt, dass sie gerade niemand bedroht, dass sich die kleinen Querulanten ihre Probleme eigentlich selbst verursacht haben (daran ist immer etwas) und ihre Gegner ansonsten die besten Vorsätze haben (was dagegen nie stimmt).

Unterdessen fliegen Restaurants, Kinosäle, Kindergärten in die Luft. Ein Fünf-Millionen-Volk weist Woche für Woche an die 20 Gefallene aus – keine gefallenen Soldaten, sondern aus dem Hinterhalt ermordete Zivilisten, die sich nicht wehren konnten.

Der Feind will im übrigen nicht viel: Den Rückzug vom Bau der Abzäunung. Wenn er das erreicht hat, wird er Jerusalem wollen. Wenn er Jerusalem bekommt, wird er ganz Israel wollen (mit dem Vermerk, dass er selbstverständlich den Juden Autonomie gewährleisten wird). Dann wird er ganz Palästina haben wollen und den Juden gleiche Bürgerrechte mit den Arabern versprechen. Dann treibt er sie ins Meer. Dazu sagt man Salami-Taktik. Die Westeuropäer lieben Salami.

Ein Novum ist, dass die Westeuropäer Ambitionen haben, bei einem derart im Voraus aufgeteilten Match den Schiedsrichter zu spielen. Die Grundregel, die sie sich für künftige Kriege aufgestellt haben, lautet: Um Gottes Willen, nur keine Gefallenen! In den Kriegen, zu deren Führung wir aus diesen oder jenen Gründen gezwungen sind, auf unserer Seite, in denen, die unsere Verbündeten führen, auf der Seite des Feindes. Gefallene könnten uns die Palästinenser zufügen, deshalb müssen wir gut mit ihnen auskommen. Nur so werden die Restaurants in Paris, Berlin, London und Madrid in Sicherheit sein – die Israeli werden sie nicht in die Luft jagen.

Es scheint, dass eine direkte Linie vom einstigen europäischen Antisemitismus zu dieser Politik führt. Zuerst verwehrten wir den Juden jahrhundertelang, unter uns zu leben. Als sie im 19. Jahrhundert begannen, das satt zu haben, siedelten sie nach Palästina um. Das aber genügt den Europäern nicht: Vom Antisemitismus haben sie sich schließlich durch die Verurteilung des Holocaust gereinigt. Die Juden flüchteten vor den Europäern nach Palästina. Jetzt wollen diese zu ihnen, um dort Ordnung zu schaffen. Und der Plan ihrer Friedensmission ist von vornherein klar: Diesmal sollen sich die Israeli ihren Holocaust selbst organisieren. Die EU wird nur aufpassen, dass sie dabei hoffentlich nicht schwindeln.

1. November 2003