Bericht über eine Diskussion
Am 21. November 2006 fand im Salon des Restaurants Pelikan in Prag der Vortrag von Wolfgang Egerter zum Thema „Deutsch-tschechische Beziehungen zwei Jahre nach dem EU-Beitritt: Ist alles in Ordnung?“ statt. Der Vortragende ist langjähriger Vorsitzender des Sudetendeutschen Sozial- und Bildungsinstitutes in Bad Kissingen. Er engagierte sich auch in der gesamtdeutschen Politik, nach dem Beitritt der neuen Bundesländer war er zunächst als Staatssekretär, später als Berater des Thüringischen Ministerpräsidenten Vogel tätig. Den Vortrag organisierte das Sudetendeutsche Büro zusammen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Wolfgang Egerter gehört zu den gemäßigten sudetendeutschen Politikern. Als im Sudetendeutschen Rat die Deutsch-tschechische Deklaration besprochen wurde, stimmte er, nicht als Einziger dagegen. In seinem Vortrag verbarg er allerdings nicht, wie ernüchtert er über den Standpunkt der tschechischen Politik zum sudetendeutschen Problem ist und dass er Zweifel über einige Aspekte der Deklaration hat. Dies ist aber nicht der Grund, warum ich diese Zeilen schreibe.
Die Diskussion war keineswegs hitzig, das Publikum war vorwiegend aufgeschlossen. Bewegung in die Diskussion brachte nur der anwesende Vertreter der Deutschen Botschaft und Kulturattaché Herr Valentin Gescher. Er hatte offenbar das Bedürfnis, Egerters Kritik mit etwas Positivem auszugleichen und so sagte er u. a.:
Erstens, die Deutschen sollten sich ein Beispiel an den Tschechen nehmen, wie korrekt und ohne Aversion diese den Zustrom von fremdem (u. a. auch deutschem) Kapital nehmen. In Deutschland ist das wesentlich schlechter.
Zweitens, die Deutschen sollten sich ein Vorbild an den Tschechen nehmen, wie diese sich in offener Diskussion mit den Schattenseiten ihrer Vergangenheit (u. a. auch mit der Vertreibung der Deutschen) auseinandersetzen. Die Deutschen haben sich mit ihrer Nazi-Vergangenheit schwerer auseinandergesetzt.
Der Herr Kulturattaché, siehe da, fungierte sozusagen als Schlangenbeschwörer. Mit diplomatischer Routine begann er das virtuelle Feuer noch vor dem Ausbruch zu löschen.
Weil seine Äußerung für mich doch ein starkes Stück war, meldete ich mich zu Wort und sagte ungefähr dies:
Ich verstehe, dass der Herr Attaché als Deutscher und Diplomat so spricht, wie er spricht. Ich bin weder Politiker noch Deutscher und kann mir somit offenere Worte erlauben.
Das tschechische Internet wird seit fast zehn Jahren mit geschmacklosen und ordinären Bemerkungen überflutet, dass die tschechische Tagespresse (Právo und Haló noviny, natürlich ausgenommen) sich in den schmutzigen Händen deutscher Revanchisten befindet und dass der Großteil der tschechischen Journalisten in deren schnödem Sold arbeitet. Von Zeit zu Zeit plätschert etwas davon auch in die geschriebenen Medien durch, vor allem in jene, die ich genannt habe.
Die tschechische offiziöse Bewältigung mit der Vertreibung der Sudetendeutschen steht auf zwei außerordentlich unverschämten und alibistischen Thesen:
Erstens, müssen wir uns für nichts schämen, weil das damals jeder getan hat. Und zweitens hatten wir einen ausreichenden Grund (den Nazi-Terror), der uns von jeder Schuld ausschließt.
Daraufhin richtete sich der Herr Attaché auf und rief aus: Da sehen sie es, das ist die offene tschechische Einstellung!
Ich sagte ihm, dass sein Lob mir zwar schmeichelt, dass ich ihn jedoch darauf hinweisen muss, keineswegs ein repräsentativer Fall zu sein.
Es würde mich weit mehr freuen, wenn deutsche amtliche Stellen z. B. durch unsachliches Hervorheben fiktiver tschechischer Tugenden den tschechischen Nationalisten – sicher unabsichtlich – keine Argumente liefern, und jenen keine Steine in den Weg werfen würden, denen es um eine echte Vergangenheitsbewältigung geht.
Damit endete unsere Debatte.
Und die Schlussfolgerung? Oft schon hatte ich das Gefühl (zuletzt an jenem 21. November), dass es keinen listigeren Erzfeind der echten tschechischen Vergangenheitsbewältigung gibt, als den deutschen Politiker, Diplomaten und Intellektuellen. Es ist bestimmt pauschal und ungerecht. Sie wollen nur den Kritikern des „deutschen Revanchismus“ entgegenkommen, damit sie endlich Ruhe haben. Aber wie zum Trotz ist noch immer keine Ruhe (siehe das ständige antideutsche Wüten in Polen). Sie sind in einer schlechten Situation: schon sechzig Jahre lang sind sie der Fußabtreter Europas (und leider auch der USA). Wir können keine Hilfe von ihnen erwarten. Diesen Kampf müssen wir selbst austragen. Und irgendwie geht das in der Flut des Palatismus schief. Das ist unsere Schuld. Auch meine. Wir waren zu wenig energisch und ausdauernd.
3. Dezember 2006