Aus dem schwarzen Loch ins Rampenlicht
Prag (PZ) – Auch für postkommunistische Verhältnisse sind die tektonischen politischen Umbrüche in den zurückliegenden achtzehn Monaten etwas Ungewöhnliches. Ist normalerweise nach einer verlorenen Wahl die Opposition einer Erosion ausgesetzt, zerfiel gegen alle Regeln in dieser Zeit die konservative Regierung. Es begann 1996: Der relative Wahl-Misserfolg der Koalition erschien damals als zufälliges Missgeschick – gelang es ihr doch, eine – wenn auch schwankende – Mehrheit im Parlament zu erringen. Dann folgten Schlag auf Schlag: der Zerfall des kleinen Partners ODA, die Wirtschaftsprobleme, der Spendenskandal und schließlich die Spaltung der bürgerlich-demokratischen ODS. Mit den Problemen entdeckten die Christdemokraten zunehmend ihre Sympathien für die oppositionellen Sozialdemokraten. Die konservativen Parteien traf in dieser Zeit zudem eine Art Massenexodus von Spitzenpersönlichkeiten aus der Politik in die Wirtschaft oder ins Private, was einer Flucht vor der Verantwortung ähnelte..
Der Zerfall der Konservativen erreicht inzwischen derartige Maße, dass bei einer Machtübernahme durch die Sozialdemokraten das Fehlen einer demokratischen Opposition befürchtet werden muß. Bei den Neuwahlen wir die ODA wohl an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern. Der harte Kern der ODS um Václav Klaus wird in der Opposition schrumpfen (der astronomische Fachausdruck „schwarzes Loch“ bietet sich an); die Plattform in der ODS vereint überwiegend einstige Klaussche Satelliten, die befürchten, dass ihr einstiger Guru sie in die politische Unterwelt zieht. Bei einer Spaltung der Mutterpartei dürfte die Fraktion bei Wahlen wenige Chancen haben. Das politische Vakuum auf der Rechten saugt Material aus der Vergangenheit auf. So hievten die Christdemokraten Petr Pithart den ersten demokratischen tschechischen Premier, auf den Posten des Senatsvorsitzenden. Aus Karrierepolitikern und Urgestein der sanften Revolution formte sich eine Fraktion, die Keimzelle einer künftigen Partei..
Das sind vorübergehende Erscheinungen – eine Rückkehr in die Zeit „vor Klaus“ ist nicht möglich. Andererseits schlagen sich heutige Politiker in die Brust, es habe „keinen Sinn, Hoffnung in neue Gesichter“ zu setzen. Mit anderen Worten: Neue Politiker werden schwer und lange geboren, es bleibt also nichts übrig, als den Bewährten zu vertrauen. Diesem tiefsitzenden Pessimismus steht die Vision eines nüchternen Optimismus entgegen..
Vorgezogene Wahlen werden der Sozialdemokratie wohl einen deutlichen Sieg bescheren. Je vehementer sich die Trümmer der einstigen konservativen Koalition diesem Schicksal widersetzen, um so vernichtender wird ihre Niederlage. Die Sozialdemokratie wird für lange Zeit ans Ruder kommen, unter ihrer Regierung wird oppositionelle Politik kein Honigschlecken. Die neue tschechische Konservative wird sich in der Opposition formen. Pfründe gibt es keine zu verteilen, im Unterschied zur Phase, als die bürgerlichen Demokraten um Václav Klaus „ihre“ ODS aufbauten. Für Emporkömmlinge, Karrieristen sowie machthungrige Zyniker wird das nicht attraktiv sein, dagegen können neue, vertrauenswürdige Leute gewonnen werden. Die Konservative kann schrittweise mit den tschechischen Irrlehren und Mythen aufräumen. Eine vernünftige und mutige Politik könnte ihr verhelfen, bei den Wahlen im Jahr 2002 eine ordentliche Vertretung im Parlament zu erringen und die Wahlen 2006 zu gewinnen. Das ist das Minimum. Falls mehr herauskommt, ist das eine unverdiente Zugabe.
Prager Zeitung 1-2/1998