Eine Woche nach der Wahl
Auf den ersten Blick haben die Wahlen das zweitschlechteste Ergebnis gebracht, das überhaupt möglich war. Einige Tage nach Schließung der Wahllokale ist jedoch auch Positives zu vermelden.
Vor allem ist die Spannung aus der Zeit vor den Wahlen verklungen, die begleitet wurde von Ergüssen der Überheblichkeit, hysterischem Hass und gegenseitigen Tiefschlägen. Im mächtigen Schatten der Affäre „Kubice“ wäre es nicht angebracht zu vergessen, wie viel sich Herr Paroubek selbst hat zuschulden kommen lassen: systematisch versuchte er sowohl seinen Hauptkonkurrenten Topolánek lächerlich zu machen, der ihn am Ende geschlagen hatte, als auch den Bürgermeister von Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) Gandalovič, den er, obwohl klarer Favorit, nur ganz knapp besiegen konnte.Zweitens: die Abgeordnetenkammer mit der schaurigen roten Maschinerie von einhundertundelf Stimmen existiert nicht mehr. Die Kommunisten haben zumindest für diesen Moment ihre privilegierte Stellung verloren, Paroubek zeigt kein Interesse mehr an ihnen, und sie werden sich somit in nächster Zeit etwas bescheiden müssen. Die so genannte „Einhundertelf“ war übrigens vor allem der Verdienst von Ex-Präsident Havel: im Jahr 2002 sicherte er dem damaligen Premier Špidla die Stimmen seiner Mitte-Links Anhänger zu dem Preis, dass die linkeren Wähler der ČSSD ihre Stimmen den Kommunisten gaben. Nun ist alles wieder zurück in geordneten Bahnen.
Und schließlich: diese Pattsituation bedeutet, dass Paroubek seine unsittlichen Pläne zur Pazifizierung von Medien zumindest auf Eis wird legen müssen. Das ist äußerst ermutigend.
Die Pattsituation ermöglicht keiner der großen Parteien ohne zumindest das stille Einverständnis der anderen zu regieren. Die Situation ist natürlich äußerst labil, kann nicht lange Bestand haben, und es droht die Gefahr, dass eine Wende allein durch inkorrekte Methoden eintreten wird (Anwerben von Überläufern).
Paroubek wollte mit Filip im Rücken nicht deshalb regieren, weil ihm die kommunistische Ideen so nah wären, anders gesagt, dass sie ihm näher wären als der Mehrheit der tschechischen Öffentlichkeit – sondern weil das eine wesentlich bequemere Art des Regierens wäre als beispielsweise die ehemalige unbeständige und unzuverlässige „Einhunderteins“. Er würde, wie er selbst sagte, auch mit Außerirdischen regieren, ein Technokrat der Macht: eine erschreckende Eigenschaft. (Klaus und Zeman waren Intellektuelle, wenn es um verschiedene Varianten von Außerirdischen geht. Sie hatten Hemmungen oder zumindest Reste von Hemmungen).
Das derzeitige labile Gleichgewicht kann natürlich leicht auf die eine oder andere Seite kippen. Aber: Die Partei der Grünen scheint jetzt, nach Paroubeks plumpem Experiment mit der „linken Fraktion“, konsolidiert, in der ODS wird wohl in nächster Zeit kein Alkoholiker zur Verfügung stehen, bleibt also die liberale KDU-ČSL: die Hand ins Feuer würde ich für sie nicht legen, auch wenn diese Möglichkeit auch nicht sehr wahrscheinlich ist.
Das, was uns nun erwartet, ist am ehesten ein langes Tauziehen. Premierminister Paroubek hat sich heute im tschechischen Fernsehsender „Prima“ in dem Sinne geäußert, dass er die Entscheidung über eine neue Regierung nicht vor August erwarte: das entspricht wohl am besten einer realistischen Einschätzung der Situation.
Die Ausgangspositionen sind dabei eindeutig: die ODS arbeitet intensiv an einer Koalition mit der KDU-ČSL und den Grünen. Es ist allerdings offensichtlich, dass eine solche Koalition zumindest die Tolerierung seitens der ČSSD voraussetzt. Die Sozialdemokraten würden damit ihre Wahlniederlage eingestehen, und das auch für den Fall, dass sie mit dem Posten des Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer entlohnt würden.
Daher hat die ČSSD so etwas wie eine Wächterposition eingenommen: ohne sie werden sich die Gegner nicht einmal ihre Hände waschen können. Die Parteispitze hat die Abgeordneten dazu verpflichtet, die Existenz einer Rechts-Mitte Koalition zu verhindern (die Partei demonstriert damit die Einheit ihrer Fraktion). Sie fordert für sich den Posten des Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer sowie die Einsetzung einer „Expertenregierung“, etwas Undurchsichtiges also, einen Deckmantel, unter dem nur schwer kontrollierbare politische Machtspielereien vonstatten gehen können. Zugleich zählte Paroubek all das auf, was die ČSSD „nicht zulassen“ werde: Einheitssteuer, Studiengebühren, Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen (das betrifft wohl vor allem das Gesundheitswesen), Verteuerung der Mieten und Abkehr von einer pro-europäischen Ausrichtung. Aus all dem lässt sich indirekt schlussfolgern, dass sich die Sozialdemokraten in einer „Expertenregierung“ entscheidenden Einfluss im Finanz-, Bildungs- und Gesundheitsministerium, dem Ministerium für lokale Entwicklung und entweder im Außenministerium oder zumindest im neuen Ministerium für europäische Integration versprechen. Auch dieser Komplex von Forderungen ist für die Gegenpartei nicht akzeptabel.
Es bleiben also bereits erprobte Varianten: Oppositionsvertrag, Tolerierung der Regierung im Tausch für bedeutende Posten, Große Koalition. Die ersten beiden sind bereits etwas abgenutzt, für den Oppositionsvertrag musste die ODS zu einer Zeit büßen, als sie in einer ähnlichen Situation wie die ČSSD heute war, auf eine Tolerierung seitens der ČSSD ging sie in einer Zeit ein, als die ČSSD als starke Partei etwas neues und bislang unkonsolidiertes war, in einer Großen Koalition würde diese heute am kürzeren Hebel sitzen (sie ist schwächer als der mögliche Partner und außerdem spielt der Präsident in den entscheidenden Momenten im Trikot der ODS).
Es scheint also, dass sich die Hauptprotagonisten, Paroubek und Topolánek, diesmal werden etwas völlig neues ausdenken müssen. Sind sie dessen überhaupt fähig? Klaus und Zeman waren auf eine bestimmte Art und Weise erfinderisch und legten einen gewissen Grad an Großzügigkeit an den Tag (zumindest im Umgang miteinander, gegenüber anderen weniger). Paroubek ist ein Parteiapparatschik mit Erfahrungen aus der Zeit vor dem November 1989, Topolánek wiederum ist ein Regionalpolitiker, den nur der Zufall in die höchste Parteifunktion emportrug. Werden sie am Ende etwas anderes als ein wenig lebensfähiges Machwerk hervorbringen? Oder führen sie das Land über einige Peripetien doch zu vorgezogenen Wahlen?
Es bleibt noch daran zu erinnern, dass politische Spielereien dieser Art eine vollkommen stabilisierte internationale Situation voraussetzen. Die heutige sieht zumindest auf den ersten Blick danach aus. Es genügt allerdings nur eine kleine Veränderung, und das, was bisher nur entfernt einen vernichtenden Charakter hatte, wird plötzlich Wirklichkeit.
11. Juni 2006