Nationalisten im Rampenlicht
Die Medien überschlagen sich in der Berichterstattung, die Führer der radikalen Nationalen Partei (NS) können zufrieden sein. Sie stehen im Rampenlicht. Am Sonntag trat die Parteichefin sogar in einer populären Fernsehsendung auf. Die Nationalisten haben ein Thema entdeckt, mit dem sie sich profilieren können. Angriffe auf Juden oder die Leugnung des Holocaust an den Juden kommen in der tschechischen Öffentlichkeit kaum an. Weil die jüdische Kommunität in Böhmen und Mähren im Holocaust fast vollständig umgekommen ist. Sie bietet selbst jenen, die ihr Leben auf dem Hass gegenüber anderen aufbauen, keine Angriffsfläche.
Das Roma-Thema ist dagegen dankbar. Der Fall des ehemaligen Konzentrationslagers Lety scheint wie geschaffen. Er ist umso sensibler, da auch Tschechen als Täter auftreten. Politischer Missbrauch wurde mit der Angelegenheit schon vorher getrieben. Als die Freiheitsunion (DEU-US) noch in der Opposition war, ging sie damit nach Brüssel. Dass sich die regierenden Sozialdemokraten und auch die oppositionellen Bürgerlichen Demokraten (ODS) mit dem Problem keinen Rat wussten, kam der Freiheitsunion zupass. Den Kritikern wurde zudem ein Thema serviert, mit dem sie ihr Bedürfnis zur nationalen Selbstkritik einfacher und problemloser befriedigen konnten als beispielsweise mit der Vertreibung der Sudetendeutschen. Denn darauf reagiert die tschechische Gesellschaft allergisch. Zudem hat Brüssel dieses Thema abgehakt. da es sich um ein Ereignis aus der Vergangenheit handelt. Bei der Diskriminierung von heute in Tschechien lebenden Minderheiten hören die Organe der EU dagegen sofort die Alarmglocken läuten.
Das politische Ausschlachten dieses Problems bringt stets einen Anflug von Hysterie mit sich. Die ODS versuchte, das Ganze herunterzuspielen. Der Streit darüber, ob es sich um ein „Konzentrationslager“ handelte oder nicht, ist dabei gar nicht wesentlich. Wobei schon interessant ist, dass vielen immer noch nicht bewusst ist, dass niemand mit Gewalt zur Arbeit gezwungen werden darf. Wesentlich ist, dass es sich um die gemeinsame Beteiligung der Protektoratsorgane und tschechischer Verantwortlicher am Holocaust an den Roma handelte.
Der Fall Lety dokumentiert bis heute die Ratlosigkeit der Politiker und staatlichen Organe. Der hysterische Umgang mit dieser Frage ruft bei vielen Tschechen das Gefühl hervor, ungerecht behandelt zu werden: Was wollen sie uns nun schon wieder anhängen! So wird das Thema ein gefundenes Fressen für aggressive Populisten.
Parteien wie die Nationale Partei (NS) gibt es überall in Europa, und sie profilieren sich mit Themen, an denen die demokratische Gesellschaft bislang scheitert – wie beispielsweise der Integration von Einwanderern. Auch im benachbarten Deutschland haben Nationalisten Aufwind.
Dass die Republikaner unter ihrem Vorsitzenden Sládek vor einigen Jahren in Tschechien gescheitert sind, lag an deren Dummheit. Aber auch daran, dass ihre Positionen im Wahlkampf 1998 von den Sozialdemokraten – erinnert sei an Sprüche von verbrannter Erde und erbarmungsloser Abrechnung mit den Wirtschaftskriminellen – und von den Bürgerlichen der ODS mit einer Portion aggressiven Nationalismus eingenommen wurden.
Die für Stammtischparolen sensiblen Wähler sehen sich heute enttäuscht. Die Nationale Partei hat vom Misserfolg der Republikaner gelernt, und die ODS kokettiert – bislang unverbindlich – mit der Partei. Die Parteispitze denkt offensichtlich – so wie der damalige ÈSSD-Vorsitzende Miloš Zeman die Republikaner als „wild gewordene Sozialdemokraten“ bezeichnete –, dass es sich jetzt um wildgewordene Parteigänger der ODS handelt. Und das geschieht alles in einer Situation, in der die Wähler ausnahmslos mit den Parlamentsparteien unzufrieden und außerparlamentarische Gruppierungen eine Spielwiese für politische Zombies sind.
Schlimmstenfalls droht, dass die Nationale Partei mit Ach und Krach ins Parlament gewählt wird. Das wäre schon eine Katastrophe an sich. Demokratische Linke und Rechte hätten einen Vampir am Hals, der erbarmungslos seine Forderungen diktieren könnte. Zwar würde sich das politische Sys-tem formal weiterhin demokratisch bezeichnen können, doch erhielten die Extremisten ein gewichtiges Mitsparcherecht. Darum darf die Nationale Partei nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Tschechien könnte sonst ein braunes Wunder erleben.
Prager Zeitung 26. Januar 2006