Stühlerabschub nach Schönbrunn
Als dramatisch kann man das Schicksal von 323 Stück Rokokomöbel aus Schönbrunn und der Wiener Hofburg bezeichnen. Gegen Kriegsende wurden sie im südmährischen Schloss von Uherčice provisorisch eingelagert, um bei Bombardierungen nicht beschädigt zu werden. Dort befinden sie sich allerdings noch heute, obwohl der Staat Österreich seit 1947 ihre Rückgabe fordert.
Als schicksalsentscheidend für das Mobiliar erwies sich die Tatsache, dass Schloss Uherèice einem Oktavian Fürst Collalto et San Salvatore gehörte, also schon dem Namen nach einem typischen Deutschen, dessen Eigentum nach den Beneš-Dekreten konfisziert wurde. Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Der Enteignung fielen auch die Sessel und Stühle aus Schönbrunn und der Hofburg zum Opfer. Kurz darauf übernahm die Tschechoslowakische Volksarmee das Schloss, die es nach 50 Jahren abruchreif verließ.
Die Einrichtung des vielgeprüften Hauses nahm zwar auch Schaden, überlebte aber diese Zeit besser. Sieben Stühle sind zu Bruch gegangen, vier Stück wurden 1998 gestohlen. Laut Berechnung des Denkmalschutzamtes sind aber überraschend von 323 Möbelstücken nur noch 238 vorhanden. Eine eigenartige Arithmetik, für die es wohl nur eine Erklärung gibt, nämlich dass schon vorher einige Stühle abhanden gekommen sind und heute die Wohnungen pensionierter Offiziere schmücken.
Möglicherweise haben gerade diese Ungereimtheiten auf tschechoslowakischer, später auf tschechischer Seite eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den Forderungen aus Österreich verursacht. Der berechtigte Stolz der Sieger des Zweiten Weltkriegs mischte sich wohl mit dem Scham der Wandalen, denen nun droht, dass ihr Tun aufgedeckt wird.
Seit 2002 sucht Außenminister Cyril Svoboda nach Wegen, um das Möbel an Österreich zurückzugeben. Bislang erfolglos. Denn inzwischen wurde das Möbel zum „Nationalen Kulturgut“ erklärt. Der Sprecher von Minister Svoboda meint zwar zu Recht, dass gestohlene Gegenstände nicht nationales Kulturgut werden können. Doch versteht er nicht die Logik der Verhältnisse: gerade weil die Stühle nun zum Kulturgut aufgestiegen sind, können sie nicht gestohlen sein. Deshalb auch stieß der Außenminister auf Ablehnung bei dem ehemaligen Kulturminister Pavel Dostál. Dessen Nachfolger ließ sich allerdings von Svoboda erweichen und sorgt für ein gar nicht dramatisches Ende des bisherigen Dramas. Das erlesene Mobiliar wird vom Kulturgut zu Umzugsgut. Vorher muss es allerdings noch für etwa sechs Millionen Kronen repariert werden und kann dann nach 60 Jahren wohl endlich wieder den Weg zurück nach Schönbrunn und in die Hofburg antreten.
Prager Zeitung 2.10. 2005