Abtreibung eines 14-Jährigen

Alle pedantisch auf Ordnung bedachten Zeitgenossen können mit dem jüngsten Parteitag der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens – kurz KSČM – zufrieden sein. Bei der Wahl des neuen Vorsitzenden schalteten die erfahrenen Delegierten zuverlässig erst den nach rechts und dann den nach links tendierenden Kandidaten aus. Die beiden vormaligen Vizechefs Miroslav Ransdorf und Václav Exner wurden als Abweichler mit Stimmentzug bestraft. Dem folgte der „Titanenkampf“ zweier Vertreter der mittleren Richtung. Nun war es eigentlich egal, wer letztlich siegen würde. Aber auch hier hielten sich die Delegierten an die Ordnung: Sie wählten den alten Vorsitzenden wieder. Sicher ist eben sicher.

Die KSČM ist eine Konstante im Chaos der postkommunistischen Verhältnisse im Land. Seit 1993 hat sie ein und denselben Vorsitzenden. Und unverändert bleibt auch der Parteikurs. Nur schwerlich kann man bei einem derartigen Typ politischer Partei auch nur ansatzweise „Entwicklungstrends“ ausmachen. Diese ausfindig zu machen, kommt dem Versuch nahe, einen Wetterbericht für die Venus zu verfassen: Dort herrschen ein beständiger Druck (der 200 Mal größer ist als auf der Erde), eine unveränderliche Temperatur von 480 Grad Celsius, Windstille und nur hin und wieder fällt auf den Boden ein Tropfen hochkonzentrierte Schwefelsäure.

Trotzdem hat die Tageszeitung „Právo“ vergangene Woche einige Informationen gebracht, aus denen sich die Zukunft der Partei ablesen lässt. Die KSČM zählt aktuell rund 101 000 Mitglieder. Seit dem vorangegangenen Parteitag 1999 sind das 27 500 weniger. Hält dieser Trend an, wird die Partei in etwa zwanzig Jahren null Mitglieder haben. Denn ihr Durchschnittsalter beträgt schon heute 68 Jahre. 1999 lag es bei 64 Jahren. Hält dieser Trend an, und verbleibt in der Partei ein Handvoll Mitglieder, dann sind das im Jahr 2019 im Schnitt 84-Jährige. Auf den ersten Blick scheint es, als ob sich das kommunistische Problem von selbst lösen wird. Doch so einfach ist es nun wieder nicht. Gute Meldungen gehen häufig mit einer bösen Überraschung einher.

1993, als der nun wiedergewählte Vorsitzende Miroslav Grebeníček die Führung der Partei übernahm, lag sie bei fünf Prozent der Wählerstimmen. Heute, zehn Jahre später, kann sie auf 20 Prozent verweisen. Legt man also auch hier den Zeithorizont von 20 Jahren an, dann wird die Partei bei 50 Prozent ankommen. Die Kommunisten hätten dann im Parlament die absolute Mehrheit. Auch wenn das dann nur noch einige senile Alte sind, die die Partei vertreten, für die kommunistische Parteihierarchie war das noch nie ein Handicap. Ein Teil der Intellektuellen – aus dem Dissent und aus dem Postdissent – fordert nun, 14 Jahre nach der wende, das verbot der KSČM. Auch wenn der Vergleich drastisch klingt: Dies ähnelt einer Familie, die sich nicht für eine Abtreibung entscheiden konnte und heute den unangenehmen Nachkommen los werden will. Nur der ist inzwischen schon 14 Jahre alt.

Die hohe Zustimmung unter den Wählern für die Kommunisten überrascht nicht. Seit 1996 hat das Land durchweg nur Regierungen, die über keine ausreichende parlamentarische Mehrheit verfügten. Politische Zahlenakrobaten und utopische Träumer spekulieren nun darüber, wie der mangelnde Konsens in der Gesellschaft mit formalen Korrekturen am Wahlsystem oder durch das Verbot der zweitstärksten Partei im Land überbrückt werden könnte. Gleichzeitig werden die Abgeordnetenmandate zum Gegenstand schamloser politischer Geschäfte. Die Abgeordneten springen mit Bravour von einer in die andere Partei, diese wiederum gehen sich gegenseitig an den Hals. Das Mandat eines gestrauchelten Alkoholikers wird zu einer heiß umkämpften Ware. Die Volksvertreter Tomáš Vrbík und Marian Bielesz sind das abschreckendste Beispiel für „Unabhängigkeit“. Und dann verlangt man vom Wähler, dass er Politik nicht gleichsetzt mit schmutzigen Geschäften, von denen man sich distanzieren sollte. Niemand darf sich wundern, wenn die von der Politik so enttäuschten Bürger Zuflucht bei zusammengestoppelten Gruppierungen wie der Vereinigung unabhängiger Kandidaten suchen oder die Kommunisten unterstützen, die eine Korrektur der Politik versprechen. Was übersetzt in die allgemein verständliche Sprache nichts anderes bedeutet, als das Ausschalten der Demokratie.

Prager Zeitung 19. 5. 2004