Honig um den Bart
Globale Prozesse, wie die Entstehung des modernen Kapitalismus, bringen Gutes und Schlechtes mit sich. Die Frage lautet, ob ein unbefriedigender Zustand dadurch verbessert werden kann, indem allmählich Fehler beseitigt werden, zum Beispiel durch Reformen. Oder aber, ob uns der Zustand derart bedrohlich erscheint, dass man ihn nur noch durch eine Revolution lösen kann. Diese zwei Wege stehen auch der sogenannten Globalisierungsbewegung offen. Eine entwickelte demokratische Gesellschaft wird eine solche Aufgabe bewältigen. Wir sind jedoch eine postkommunistische Gesellschaft.
Die tschechische Regierung hat damit, dass sie Prag als Austragungsort der Tagung vorgeschlagen hatte, diese Gesellschaft einer unnötigen Gefahr ausgeliefert. Zweifellos haben wir es nötig, in Europa integriert zu sein. Dies erfolgt jedoch nicht auf dem Wege der Organisation von Großveranstaltungen, denen halb Prag geopfert werden muss, sondern durch mühevolle Kleinarbeit. Die Köpfe des Weltfinanzbusiness denken rationell, da sie so zu denken gewohnt sind, und werden nicht denen helfen, die ihnen am meisten Honig um den Bart streichen, sondern denen, die sich, zumindest in Grundsätzlichem selbst zu helfen wissen.
Prager Zeitung 31. August 2000