Akzeptierbare Forderung

Prag (PZ) - Immer wieder provoziert er im deutsch-tschechischen Verhältnis neue Diskussionen. Bohumil Doležal, Publizist, Hochschullehrer und in der ersten Hälfte der neunziger Jahre Berater des damaligen Regierungschefs Václav Klaus, forderte Mitte April 2000 eine Initiative von unten, die eine Entschuldigung für die Vertreibung der Sudetendeutschen formulieren soll. Um dieser symbolischen Geste Nachdruck zu verleihen, schlägt Doležal die Einrichtung eines Fonds der Versöhnung vor, der gespeist aus Spenden der Bevölkerung eine symbolische Entschädigungszahlung für die Vertreibung ermöglichen soll. Über Ziele und Realitätsnähe des Vorschlags sprach Uwe Müller mit dem Aktivisten.

 

PZ: Herr Doležal, ist die tschechische Gesellschaft von Ihrem Vorschlag nicht überfordert?

Doležal: In der älteren Generation hält sich bis heute das Phänomen der Angst vor den Sudetendeutschen. Die Jüngeren haben diese Angst nicht mehr. Und wie ich an der Universität beobachten kann, setzen sich die jungen Leute mit der Vertreibung der Sudetendeutschen auseinander und wollen dafür die Verantwortung übernehmen.

PZ: Ihr Vorschlag gründet also auf der tatsächlichen Bereitschaft in einem Teil der Gesellschaft, gegenüber den Sudetendeutschen zu einer Versöhnungsgeste zu finden?

Doležal: Ich verfüge über zahlreiche Signale und stehe mit einigen Organisationen im Gespräch, die eine derartige Geste anstreben. Nennen möchte ich momentan noch keine, das wäre verfrüht. Interessant ist, wie stark diese Strömung ist. Die konservative Regierung Klaus schreckte stets vor Schritten in der sudetendeutschen Frage zurück, weil sie Angst vor dem Protest der Bevölkerung hatte.

PZ: Diese aus der Vergangenheit rührenden Fragen sollten doch aber mit der gemeinsamen Deklaration von 1997 mehr oder weniger gelöst sein?

Doležal: Die Deklaration ist sicherlich ein vernünftiger Kompromiss. Mich stört allerdings, wie die Erklärung von der tschechischen Politik interpretiert wird. Es werden die während der Vertreibung begangenen Verbrechen bedauert, nicht aber der Akt der Vertreibung als solcher. Die deutsche Seite dagegen bezieht dieses Bedauern auf die Vertreibung insgesamt. Ich kritisiere also nicht die Deklaration sondern die Art ihrer Interpretation, insbesondere durch die sozialdemokratische Regierung in Tschechien.

PZ: Tatsache ist aber auch, dass in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre sudetendeutsche Themen in der Öffentlichkeit weitaus sachlicher diskutiert wurden, allerdings das Interesse für diese Themen deutlich ermüdete.

Doležal: Mir ist es lieber, wenn über offene Fragen hart gestritten wird. Allerdings habe ich als Publizist andere Erfahrungen machen müssen: Von 1992 bis 1996 konnte über diese Fragen ohne Abstriche geschrieben werden. Dann bearbeitete der damalige Außenminister Josef Zieleniec seine Anhänger in den Medien, so dass vor Verabschiedung der Deklaration mehr oder weniger Ruhe einzog. Die Diskussion wurde also abgewürgt. Der auch von mir signierte Aufruf Versöhnung ´95 wurde ebenso totgeschwiegen. Nach der Deklaration konnte sich zwar zu dem Thema frei geäußert werden, doch gab es darauf keine Reaktionen. Scheinbar interessierte sich nun keiner mehr für das Thema. Geändert hat sich das erst jüngst. Verbreitet war und ist die Ansicht, dass dieses Thema einzig Angelegenheit für die Historiker ist, wir Normalbürger sollen uns damit nicht auseinandersetzen. Das ist völlig absurd.

PZ: Die Diskussion fachte aktuell auch die Forderung der Sudetendeutschen Landsmannschaft auf Entschädigung für etwa 2000 Betroffene aus dem deutsch-tschechischen Zukunftsfonds an.

Doležal: Den Antrag stellten das Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde, das Sozialwerk der Seliger-Gemeinde, das Sudetendeutsche Sozialwerk und Vertreter der im Land lebenden Sudetendeutschen, also unsere Mitbürger. Und die Forderung ist äußerst zurückhaltend und von der tschechischen Seite ohne Probleme akzeptierbar.

PZ: In der Erklärung wird aber ausdrücklich die Entschädigung für die Verfolgten des NS-Regimes genannt.

Doležal: Die während der Vertreibung begangenen Verbrechen waren doch eine Fortsetzung der vorher geschehenen Verbrechen. Beide sind zu verurteilen, die Betroffenen haben folglich gleichermaßen Recht auf Entschädigung. Warum sollte man also nicht die Formulierung dahingehend ändern?

PZ: Dafür fehlt aber sowohl in Deutschland als auch in Tschechien der politische Wille.

Doležal: Derartige Fragen müssen politisch durchgesetzt werden, und Politik machen, heißt doch nicht, für alles Beifall zu bekommen. Schauen Sie, Václav Klaus hatte im Frühjahr 1993 alle Voraussetzungen dafür, mit seiner unangefochtenen Autorität die damals diskutierten politischen Vorstellungen durchzusetzen, einschließlich einer Geste gegenüber den Sudetendeutschen. Kurz vor Pfingsten 1993 schreckte er vor diesem Schritt zurück. Also muss er getan werden.

PZ: Wird etwas mit den Beneš-Dekreten geschehen?

Doležal: Die wenigen Dekrete des Präsidenten Beneš, die Grundlage für die Vertreibung waren, können doch nicht Bestandteil unserer Rechtsordnung bleiben. Diese Dekrete müssen aufgehoben werden mit dem Zusatz, dass die 1945 und 1946 erfolgten Rechtsakte - leider - nicht aufgehoben werden können. Deutlich muss gesagt werden, dass die betreffenden Dekrete im Widerspruch zu unserer gegenwärtigen Verfassung stehen.

Prager Zeitung 8.6. 2000