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16.3. - 23.3. 2002

ARCHIV

Deutsch-Tschechische Historikerkommission gegen Verkürzung der deutsch-tschechischen Beziehungen auf "Beneš-Dekrete"

Die am 16. März 2002 in Berlin zu einer Arbeitssitzung versammelten Mitglieder der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission sind besorgt über die mißbräuchliche Verwendung historischer Argumente in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung. Dabei stehen die sogenannten Beneš-Dekrete im Mittelpunkt, von denen einige sich auf die Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewirkt haben. Es ist wichtig, sich auf die Tatsachen zu besinnen:

Die grundlegenden Fakten, welche die Ereignisse der unmittelbaren Nachkriegszeit bestimmt haben, waren der grausame Weltkrieg und die Verbrechen des Nationalsozialismus. In diesem Kontext wurde 1945 in der Tschechoslowakei u.a. durch die Beneš-Dekrete eine Rechtslage geschaffen, in der die Angehörigen der deutschen Minderheit einige Grundrechte verloren, enteignet und des Landes verwiesen worden sind. Dies wurde mit den politischen Entwicklungen begründet, die 1938 zum Münchner Abkommen und 1939 zur Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das Dritte Reich geführt hatten, mit der in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre bei großen Teilen der sudetendeutschen Bevölkerung wachsenden Zustimmung zur NS-Politik, aber auch mit der Gewalt der deutschen Besatzung. Gegner des NS-Regimes und diejenigen Bürger, die in den Jahren 1938-1945 ihre Loyalität gegenüber der Republik unter Beweis gestellt hatten, waren von den Rechtsverordnungen nicht betroffen, wiewohl diese nicht immer konsequent eingehalten wurden.

Während des Zweiten Weltkrieges zogen die Regierungen der drei alliierten Großmächte und das tschechoslowakische Exil unter Führung von Edvard Beneš aus diesen Entwicklungen den Schluß, daß eine Wiederholung von ‚München' verhindert werden müsse. Die Überzeugung war verbreitet, daß eine Friedensordnung in Ostmitteleuropa nur durch die Schaffung national homogener Staaten zu erreichen sei. Minderheiten sollten nach dieser Vorstellung nicht mehr bestehen. Dies schien innerhalb des tschechoslowakischen Exils wie auch im einheimischen Widerstand seit Ende 1938 durch die Abtretung eines Teils der deutschen Siedlungsgebiete jenseits der militärischen Befestigungsanlagen möglich zu sein; ein weiterer Teil der Bevölkerung sollte umgesiedelt werden. Das änderte sich in dem Maße, in dem im Verlauf des Krieges die Bereitschaft nachließ, Gebietsabtretungen zuzulassen. Deshalb sollte die Tschechoslowakei in den Grenzen von 1937 wiederhergestellt und die überwiegende Mehrheit der Deutschen aus der Tschechoslowakei ausgesiedelt werden. Damit wurde auch die ursprüngliche Erwägung aufgegeben, nach individueller Schuld und Verantwortung der Deutschen zu urteilen.

Da bei den Alliierten über das Ziel ethnisch möglichst homogener Staaten im Grundsatz Einigkeit bestand, spielte 1945 auf der Potsdamer Konferenz die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei - sowie Polen und Ungarn - nur noch eine untergeordnete Rolle; zur Debatte standen vorwiegend die Modalitäten der Aussiedlung.

Der damals in der Öffentlichkeit der Tschechoslowakei und anderer Länder verbreitete Haß gegen die Deutschen wurde durch den Ruf nach Vergeltung für Lidice und andere Terrorakte der deutschen Besatzungsmacht verstärkt und von vielen als Freibrief für Gewalttaten genutzt. Teile der deutschen Bevölkerung wurden vor allem in den ersten Monaten nach Kriegsende unter oft unmenschlichen Bedingungen vertrieben. Nach der Potsdamer Konferenz wurde, vor allem im Jahre 1946, die Masse der Deutschen aus der Tschechoslowakei ausgesiedelt.

Die Ereignisse des Jahrzehntes von 1938-1948 dürfen nicht vergessen lassen, daß Tschechen und Deutsche jahrhundertelang in den böhmischen Ländern friedlich zusammengelebt haben und daß die Mehrheit der deutschen Wähler im tschechoslowakischen Staat vor 1935 demokratischen, staatsloyalen deutschen Parteien ihre Stimme gegeben hat.

Was die Rechtsfigur einer Kollektivschuld betrifft, vertritt die Kommission nach wie vor den Standpunkt, auf den sie sich bereits 1996 in der Skizze zu einer Darstellung der deutsch-tschechischen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert "Konfliktgemeinschaft, Katastrophe, Entspannung" geeinigt hat: "Zweifellos verstoßen alle Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen gegen grundlegende Vorstellungen von Menschenrechten. Vor fünfzig Jahren gehörten sie zu den Konsequenzen des von der deutschen politischen Führung ausgelösten Krieges und der in seinem Zusammenhang durchgeführten Umsiedlungsaktionen, schließlich der Vernichtung ganzer Bevölkerungsteile."

Die Kommission hat den in der Deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 formulierten Standpunkt begrüßt - und stimmt ihm weiterhin zu -, daß die tschechisch-deutschen Beziehungen nicht mit der Vergangenheit belastet werden sollen. Dies erleichtert es beiden Gesellschaften, die eigene Vergangenheit kritisch zu reflektieren.

Wir appellieren, in der Politik bei der Behandlung empfindlicher Gegenstände wie des deutsch-tschechischen Verhältnisses die Worte sorgfältig abzuwägen. Geschichte ist keine Waffe.