Kann man den Patriotismus am Stolz messen?

Den Patriotismus möchte ich nicht unterschätzen. Schon aus dem Grund, weil ich während meines Lebens erkannt habe, um was für eine wichtige Sache es sich handelt oder besser gesagt, wie unangenehm und schmerzhaft es ist, wenn er fehlt oder verstümmelt bzw. verzerrt wird. (Ein klassisches Beispiel ist der "tschechoslowakische" Patriotismus, der letztendlich dazu geführt hat, dass die Tschechoslowakische - nachfolgend Sozialistische - Republik von zehn Millionen Tschechoslowaken und fünf Millionen Slowaken bewohnt wurde.

In der vergangenen Woche fand in der überregionalen Tageszeitung "Lidové noviny" eine Enquete zum tschechischen Patriotismus statt. Der Patriotismus wird dabei daran gemessen, wie sehr und auf was alles wir Tschechen stolz sind. Das erscheint mir nicht ganz in Ordnung zu sein.

Der tschechische Patriotismus leitet sich im besseren Sinn des Wortes davon ab, wie er von dem Dichter, Journalisten und Politiker Karel Havlíček Borovský (1821-1856) sowie dem tschechoslowakischen Staatsgründer Tomáš G. Masaryk (1850-1937)aufgefasst wurde und was diese Männer für ihn getan haben. Der Mensch wird in irgendeiner nationalen Gemeinschaft geboren. Er hat sie sich nicht ausgesucht, sondern fiel in sie hinein. Wenn er sich die Nation hätte aussuchen können, wäre er wahrscheinlich zu einer besseren Auswahl fähig gewesen. Auf der anderen Seite: Wenn der Mensch sich auf der Erdkugel umblickt, sieht er, dass es ihm auch wesentlich schlechter hätte ergehen können. Über den Ort zu klagen, wo ich gelandet bin, ist genauso fruchtlos, wie über ihn vor Hochmut zu platzen. Dass der Mensch ohne eigenes Verdienst und auch ohne eigene Schuld in irgendeine Gemeinschaft hinein geboren wurde, führt zur Verpflichtung der Solidarität, zur Verpflichtung, für die Gemeinschaft etwas zu tun. Er muss sich bemühen, dass sie in Zukunft etwas besser sein wird als sie es jetzt ist. Dazu muss der Mensch wissen, worauf er sich stützen kann und welche Dinge der Ablehnung und der Überwindung bedürfen. Und das erfordert vor allem Nüchternheit und kritische Distanz.

Realerweise muss auch damit gerechnet werden, dass es der betreffenden Gemeinschaft überhaupt nicht gefallen muss, wenn jemand versucht, sie besser zu machen als sie es jetzt gerade ist. Schließlich erfordert das Bessersein Zusammenarbeit und Mühe. Außerdem gelingt dem Menschen nicht immer alles. Er sollte auch fähig sein, seine Fehler einzusehen und diese beheben. Der Stolz hilft ihm gerade in dieser Hinsicht nicht allzu sehr, eher die Demut.

Es ist interessant, dass Unsereiner zum Großteil auf das stolz ist, was er selbst gar nicht kann, und wenn er es können würde, es ihm im tagtäglichen Leben zumeist nichts nutzen würde: Warum sollte er so phantastisch Schlittschuh laufen können wie Jaromír Jágr bzw. Martina Sáblíková oder den Speer werfen wie Barbora Špotáková. Es bringt auch nichts, auf Karl IV., den König von Böhmen und späteren römisch-deutschen Kaiser, stolz zu sein. Zum einen haben wir dazu, was er vollbracht hat, nichts beigetragen (wir waren noch nicht auf der Welt) und zum anderen - gestehen wir uns das ein - kennen wir von diesem Kapitel der Geschichte nur einige Phrasen aus den Lehrbüchern.

Wenn der Mensch sich bemüht, etwas für die Gemeinschaft zu tun, in der ihm zu leben gegeben ist, sie etwas besser zu machen, bleibt ihm meist keine Zeit mehr dafür, stolz zu sein. Er hat eine Menge Arbeit und Probleme. Wenn ihm etwas gelingt, kann er das Gefühl gut getaner Arbeit haben, doch die Arbeit ist immer nur relativ gut, insbesondere im Vergleich zu der unendlichen Menge derer, die noch getan werden muss.

Und umgekehrt: Wenn der Mensch stolz ist, bläht er sich vor Hochmut auf und hat keine Zeit für etwas Ordentliches. Es ist etwas Ähnliches wie die Masturbation: ein kurzes wohliges Gefühl, aber ansonsten ohne Effekt.

Aus all dem ergibt sich: Für den Stolz werden wir genügend Zeit haben, wenn wir tot sind. Solange wir leben, sollten wir arbeiten und hoffen, dass diese Arbeit einen Sinn hat.

Tageszeitung "Lidové noviny", 3. Oktober 2012
Übersetzung Sylvia Janovská