Fremdlinge wollen uns ein Kulturgut abluchsen!

Zunächst einmal, worum es geht: Das Palais Lobkowicz auf der Prager Kleinseite, der Sitz der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik, ist zu einem bedrohten Kulturgut geworden. Die BRD hat das Gebäude seit 1974 gemietet, als sie diplomatische Beziehungen zur damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (CSSR) aufnahm. Jetzt würde die deutsche Bundesregierung das Palais gern von der Tschechischen Republik abkaufen. Die tschechische Regierung hat nichts gegen den Verkauf. Prag möchte als Kompensation Grundstücke im Zentrum Berlins erlangen, um die derzeitige Botschaft der Tschechischen Republik in der deutschen Hauptstadt ersetzen zu können. Diese war einst als diplomatische Vertretung der "CSSR" in der "DDR" erbaut worden. Das Gebäude erinnert an ein zufällig inmitten der damals geteilten Stadt gelandetes Weltraumschiff von einem Planeten, auf dem bereits der Kommunismus gesiegt hat. Einst bin ich im Aufzug dieses "kosmischen Objekts" gemeinsam mit dem damaligen tschechischen Botschafter im Keller stecken geblieben. Es war ein grauenvolles Erlebnis.

Und nun droht dem Palais Lobkowicz in Prag Gefahr. Aufmerksam macht darauf eine berufene Person, und zwar Jiří Lobkowicz, ein Nachfahre der einstigen Besitzer. "Eines der glänzendsten architektonischen Denkmäler", wie Herr Lobkowicz sagt, soll in den Besitz eines fremden Staates übergehen, und dies "offensichtlich aus ökonomischen Beweggründen".

Ökonomische Beweggründe stellen anscheinend in dieser Angelegenheit einen erschwerenden Umstand dar. Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass eine derartige Distanz zu materialistischen Interessen zwar bewundernswert ist, sie aber etwas leichter fällt, wenn dem Menschen wie beispielsweise Herrn Jiří Lobkowicz ein Schloss in Mělnik bei Prag einschließlich der umliegenden Grundstücke gehört. Außerdem will die BRD das Palais nicht lediglich aus materialistischem Interesse kaufen, sondern vor allem, weil es mit einem wichtigen Ereignis in der neuzeitlichen deutschen Geschichte verbunden ist, und zwar dem Massenexodus von Einwohnern der DDR in die Freiheit, der im Herbst 1989 den Zusammenbruch dieses grässlichen Staatsgebildes einläutete. Auch die tschechische Regierung will sich bei diesem Verkauf sicher nicht nur die Taschen voll stopfen, sondern würde dem westlichen Nachbarn gern entgegenkommen, was gerade in dieser Angelegenheit sowohl anständig als auch politisch umsichtig ist.

Überdies kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich Herrn Lobkowicz zufolge nicht nur um einen fremden Staat handelt, sondern um eine besonders verwerfliche Form eines fremden Staates, was gelinde durch die Wortverbindung "fremdländische Gemeinschaft" angedeutet wird. Und letztendlich: "Die unser Erbe bildenden Kulturgüter unseres Volkes müssen vor dem Ausverkauf bzw. dem Austausch ins Ausland verschont und geschützt werden." In diesem Zusammenhang gibt mir das keine Ruhe, und ich muss darauf aufmerksam machen, dass zum einen die BRD nicht beabsichtigt, das Palais zu demontieren und nach Berlin zu schaffen. Und zum anderen ist dieses Kulturgut zu unserem Erbe geworden, in dem es die Tschechoslowakei 1927 von einem Vorfahren des Herrn Lobkowicz gekauft hat.

Angeblich hat dieser Vorfahre des Herrn Lobkowicz das Palais aus dem Grund verkauft, damit es nicht in den Besitz unbefugter Privatleute oder fremder Staaten gerät. Die Gemeinschaft "unbefugter" physischer und juristischer Personen ist heute bei uns in Tschechien relativ gut definiert: Hierzu gehört vor allem die Kirche, insbesondere die katholische, deren Klauen wir u. a. den Prager Veitsdom entreißen konnten. Es drohte nämlich, dass der Dom etwas mehr zum Gotteshaus als zum nationalen Hort wird. Weiter ist das der Adel, freilich mit Ausnahme von stammestreuen Patrioten wie es Herr Lobkowicz ist. Und schließlich sind es die Deutschen und Deutschland.

Nach Aussage von Herrn Lobkowicz hat sein Vorfahre das Palais mit Verlust an den tschechoslowakischen Staat verkauft. Er will damit zweifelsohne akzentuieren, dass die Beweggründe seines Ahnen rein patriotisch waren. Ich gestatte mir nur den Hinweis, dass er verkauft hat. Und deshalb haben seit dieser Zeit seine Nachkommen genau das gleiche Recht wie ich, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Ganz abgesehen davon, dass mir dieser Typ von Patriotismus, den jetzt Herr Lobkowicz vorführt, in allen Punkten überholt erscheint.

elektronische Ausgabe der gesellschaftspolitischen Zeitschrift "Reflex",reflex.cz, 24. Juli 2012
Übersetzung Sylvia Janovská