Ein Böhme deutscher Zunge

Rudolf HilfMit Verspätung hat mich die traurige Nachricht ereilt, dass Dr. Rudolf Hilf kurz vor Ostern, am 20. April, verstorben ist. Er war ein bekannter deutscher (genauer gesagt, sudetendeutscher, aber ich fürchte mich fast, das zu schreiben) Historiker und Publizist. Weil ich Dr. Hilf persönlich kannte und in einer prinzipiellen Angelegenheit mit ihm zusammengearbeitet habe, sind diese Zeilen persönlich geprägt.

 

Zunächst aber ein kurzes Curriculum Vitae des Verstorbenen: Er wurde 1923 in Asch (Aš) geboren und machte noch die Hölle des Krieges und der nachfolgenden Vertreibung durch. An der Universität in München studierte er Geschichte. Rudolf Hilf nahm aktiv am Leben der sudetendeutschen Gemeinschaft teil. Längere Zeit war er als Referent für auswärtige Angelegenheiten beim ersten Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft Rudolf Lodgman von Auen tätig (in dieser Position unterhielt er auch Kontakte mit dem Vertreter des Rats der freien Tschechoslowakei Jaroslav Stránský - soweit mir bekannt ist, besuchten sie sich von Zeit zu Zeit bis zum Tode Stránskýs). Nach der politischen Wende schaltete sich Dr. Hilf in den entstehenden tschechisch-sudetendeutschen Dialog ein. In den Diskussionen verteidigte er immer vehement die Interessen seiner Volksgruppe, war aber zugleich von der Notwendigkeit der Verständigung, des Entgegenkommens und des Kompromisses überzeugt. Mit einem gewissen Stolz sagte er von sich, er sei „ein Böhme deutscher Zunge“. Dieses Bekenntnis zum einstigen Landespatriotismus kam mir rührend vor. Ich hatte nicht das Herz, ihn davon zu überzeugen, dass es sich leider nur noch um Musik der Vergangenheit handelt.

Am liebsten erinnere ich mich an das Wesentlichste: an unsere Zusammenarbeit bei der Entstehung des Aufrufes "Versöhnung 95". Die Idee dafür wurde 1994 während irgendeines Treffens tschechischer und sudetendeutscher Intellektueller in der deutschen (damaligen) Botschaft in Berlin geboren. Jemand schlug vor, dass wir anlässlich des Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkrieges eine gemeinsame Erklärung herausgeben sollten. Während sich die sudetendeutschen Teilnehmer von dem Projekt offensichtlich zu viel versprachen, war auf der tschechischen Seite im Keim bereits die Begierde zu spüren, die Partner an der Nase herumzuführen. Letztendlich beauftragte die Gemeinschaft Dr. Hilf und mich, gemeinsam den Text vorzubereiten. Jeder von uns lud dazu einige Freunde ein, denen er vertraute, und nach nicht ganz einfachen Verhandlungen (Dr. Hilf war ein harter Verhandlungsführer) gelang es, einen Text aufzusetzen. Dieser wurde letztlich zwar praktisch von keinem der tschechischen Teilnehmer des Berliner Treffens unterschrieben(diese hatten sich vorgestellt, dass die ganze Angelegenheit in unendlichen Streitereien untergehen würde), dafür wurde er aber auf beiden Seiten von anderen unterzeichnet. Die Erklärung rief zum politischen Dialog zwischen den tschechischen und den sudetendeutschen Repräsentanten über alle Fragen auf, die die eine oder andere Seite als offen betrachtet. Ihre Veröffentlichung rief auf der tschechischen Seite eine Orgie der nationalistischen Tobsucht hervor (einsperren konnten sie uns glücklicherweise nicht mehr), aber auch unsere sudetendeutschen Freunde hatten es nicht leicht. Die Leiter der Sudetendeutschen Landsmannschaft warfen ihnen beleidigt vor, sie hätten die Erklärung nicht gebührlich mit ihnen konsultiert (dieser Vorbehalt erinnert mich entfernt an das, was wir bei uns in der damaligen Tschechoslowakei in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehört haben).

Der Aufruf fand kein Gehör. Stattdessen wurde zwei Jahre später die gemeinsame Deutsch-Tschechische Erklärung angenommen. Der Weg des Foppens der Deutschen und Sudetendeutschen war eingeschlagen worden. Man sagte, man müsse "zukunftsorientiert“ sein. Heute sind wir allerdings schon weiter gekommen. Wir debattieren sogar über die Vergangenheit, beispielsweise darüber, ob die 1945 ermordeten Deutsch-Böhmen dort begraben sein dürfen, wo sie geboren wurden und ihr ganzes Leben verbrachten hatten. Und wenn ja, ob entweder angeführt werden darf, dass sie ermordet wurden, oder dass sie Deutsche waren oder sogar beides.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass das, woran sich mein verstorbener Freund Dr. Rudolf Hilf mit vollem Einsatz als Co-Initiator beteiligt hat, nicht vergeblich war, dass es nicht vergessen bleibt. Und dass dieser Aufruf einmal auch auf der tschechischen Seite die Anerkennung findet, die er auf der sudetendeutschen Seite bereits gefunden hat. Wenn das geschieht, wird das von uns Tschechen ein Ausdruck der Versöhnung sein. Und was werden wir uns erzählen: Die wirkliche Aussöhnung erwartet uns noch.

Bohumil Doležal
Übersetzung Sylvia Janovská