Präsident Klaus blufft wieder
Präsident Klaus sprach am tschechischen Staatsfeiertag, dem heutigen Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie, über den 17. November 1939. An diesem Tag hatten die deutschen Okkupanten die tschechischen Hochschulen geschlossen, neun Studentenführer hingerichtet und mehr als 1 200 tschechische Studenten in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Bei dieser Gelegenheit verwahrte sich Klaus dagegen, wie bei uns in Tschechien über den Krieg und hauptsächlich über die Ereignisse nach Kriegsende gesprochen wird.
Der Präsident ist wegen der zunehmenden Asymmetrie zwischen der dem Krieg und den Ereignissen nach seiner Beendigung gewidmeten Aufmerksamkeit frustriert. Er spricht von einer Außerachtlassung der Bedeutung der zeitlichen Reihenfolge und der Kausalität dieser Ereignisse sowie von einem "Verlust des Proportionsverhältnisses". Es ist notwendig, diese gelehrten Reden ins Tschechische zu übersetzen: Erstens wird zu viel darüber gesprochen, was bei uns unmittelbar nach Kriegsende geschehen ist. Dabei haben die Deutschen damit begonnen, was uns entschuldigt. Und im Vergleich zu dem, was die Deutschen getan haben, ist das, was wir Tschechen gemacht haben, eigentlich eine Kleinigkeit. Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um die richtige Symmetrie.
Der Präsident bestreitet nicht, dass hier und da auch bei uns unschöne Dinge geschehen sind. Doch diese können sich bei weitem nicht mit dem messen, "was in den vorhergehenden Jahren allstündlich in den Konzentrationslagern, den Gefängnissen, auf den Kriegsschauplätzen und in den von den Nazis besetzten Gebieten geschehen ist."
An dieser Stelle muss betont werden, dass hier erstens das, was anderswo während des Krieges geschah, mit dem verglichen wird, was sich bei uns im Frieden und unter dem Schutz der Alliierten ereignet hat. Zweitens wird das, was die Deutschen allgemein in Europa und andernorts getan haben, mit dem verglichen, was wir den Deutsch-Böhmen angetan haben. Und wenn der Herr Präsident behauptet, dass die Okkupanten auf unserem Territorium im letzten Monat der Okkupation mehr Menschen ermordet haben, als im ersten Monat nach Kriegsende ums Leben gekommen sind, muss in Betracht gezogen werden, dass niemand das Recht zu morden erlangt - wenn auch etwas weniger, falls der andere mordet. Insbesondere dann, wenn die Ermordeten in den meisten Fällen nicht diejenigen waren, die zuvor gemordet hatten. Und letztendlich: Es geht überhaupt nicht "nur" um das Morden. Es geht darum, dass über drei Millionen Menschen bestohlen, der Bürgerrechte beraubt und aus ihrer Heimat vertrieben worden sind.
Nie habe ich von jemandem die Behauptung gehört, der deutsche Terror sei geringer gewesen als der tschechische. Die von Deutschen verübten Gewalttaten sind eine deutsche Angelegenheit (die Deutschen entschuldigen sich für sie bereits 65 Jahre und zahlen dicke Entschädigungen), doch die von Tschechen verübten Gewalttaten sind unsere tschechische Angelegenheit. Schuld haben alle Völker auf sich geladen und die tschechische Geschichte setzt sich nicht aus lauter Schuld zusammen. Die Völker unterscheiden sich nicht voneinander, in dem einige nicht sündigen, sondern dadurch, ob sie imstande sind, ihre Sünden einzugestehen und zu bedauern. Hier haben wir einen bestimmten Rest: Wir denken uns aus, auf wen wir das schieben können und wie das, was damals geschehen ist, sozusagen in Grund und Boden geredet werden könnte. Man kann dazu Proportionseinhaltung sagen. Allerdings kann man es auch Schamlosigkeit nennen.
überregionale Tageszeitung "Lidové noviny", 19. November 2010
Übersetzung Sylvia Janovská