Gemeinsam tanzt die Welt der Lebenden und der Toten
Das Zitat (ich weiß nicht, ob es genau ist, da es schon lange her ist) entstammt einer hübschen britischen Horrorgeschichte, die ich irgendwann Anfang der siebziger Jahre gelesen habe: In einer Kleinstadt an der englischen Küste trifft ein frisch vermähltes junges Paar zum Urlaub ein. Als sich das Ende der Saison nähert, verlassen die Touristen die Stadt und die Ortsansässigen empfehlen den beiden jungen Leuten, es ihnen schnellstmöglich nachzutun. Doch diese bleiben aus Neugierde (und zu ihrem Schaden). Eines Tages begibt sich das Ehepaar an den Strand und stößt dort auf immer mehr menschliche Gebeine in den unterschiedlichsten Stadien der Verwesung. Die Ertrunkenen kehren für einen Tag (besser gesagt, für eine Nacht) unter die Lebenden zurück. In der Nacht tanzen dann die Toten mit den Lebenden eine Art wilden Dance Macabre beim Gesang eines morbiden Liedes, aus dem das anfängliche Zitat stammt. Den Jungvermählten hilft nicht, dass sie sich im Zimmer verschanzen. Die rasenden Tänzer brechen die Tür auf und ziehen das Mädchen in ihren Wirbel. Eine Stunde nach Mitternacht endet das "Fest", doch bei der jungen Frau tritt in diesem Augenblick eine fatale Wandlung ein. Ihr weiteres Leben wird sie auf dem halben Weg zwischen den Lebenden und den Toten verbringen.
Unsere Heimat erinnert immer mehr an diese englische Kleinstadt. Mit dem Unterschied, dass die Gebeine der Toten nach und nach an unterschiedlichen Orten unseres "Grenzgebietes" an die Oberfläche drängen. Das ist kein Ulk. Wir haben prozentuell weltweit das größte Grenzgebiet. Es beginnt bei einem dreißig Kilometer von Prag entfernten Ort. Und auf seine Art und Weise gehört auch Prag selbst dazu, wie vor einiger Zeit der Regisseur David Vondráček gezeigt hat. Wenn die Gebeine der Toten in unser Leben zurückkehren, nimmt der Tanz seinen Anfang. Das letzte Mal geschah das vor ein paar Tagen in der Nähe von Jihlava. Die Polizei der Tschechischen Republik befasst sich bereits seit einiger Zeit mit dem Fall der Ermordung von 15 deutschen Zivilisten am 19. Mai 1945. Die Polizisten sind um ihre Arbeit nicht zu beneiden. Auf der einen Seite stehen die im Jahr 1946 vertriebenen deutschen Zeitzeugen, denen in dieser Nacht Verwandte "verloren" gegangen sind. Sie erinnern sich daran, dass diese in der Nacht aus dem damaligen provisorischen Lager von sturzbetrunkenen "Revolutionsgardisten" hinter das Dorf verschleppt worden waren, wo sie sich ein Grab schaufeln mussten. Dann schlugen sie die Zivilisten mit Schaufeln und Hacken (die Ausrüstung der "Revolutionsgarden" war damals noch nicht auf der Höhe der Zeit) tot und verscharrten sie. Auf der anderen Seite stehen die tschechischen Nicht-Zeitzeugen. Sie erinnern sich an nichts. Es ist zu keinem Vorfall gekommen.
Die Nicht-Zeitzeugen haben allerdings Pech. Zwei Augenzeugen haben genau die Stelle bezeichnet, an der jetzt die Polizei und Archäologen menschliche Gebeine und Bekleidungsreste gefunden haben. Die Polizei nimmt ihre Arbeit ernst. Sie will den Knochenfunden DNA-Proben entnehmen und sie mit der DNA der Hinterbliebenen vergleichen. Mit der rechtlichen Seite der Angelegenheit haben die Gesetzeshüter begreiflicherweise Schwierigkeiten: Falls es sich um Mord handeln würde, so ist dieser verjährt. Wenn es um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehen würde (ich muss bekennen, dass mir diese Idee wiederum nicht derart exzentrisch erscheint), gilt keine Verjährung. Allerdings sind bis auf eine Ausnahme die mutmaßlichen Schuldigen bereits tot.
Die im Volksmund Budinka genannte Wiese nahe der Gemeinde Dobronín (Dobrenz) bei Jihlava ist jedoch nicht der einzige Ort, an dem uns die Toten (keine Ertrunkenen, sondern Ermordete) zum Tanz auffordern. Auf Skelette stoßen wir sehr oft: in Postoloprty (Postelberg), in Nový Bor (Haida), in Přerov (Prerau), in Pohořelice (Pohrlitz). Die grundlegende Frage besteht nicht in der Rechtsauffassung der Angelegenheit, sondern darin, ob die Getöteten überhaupt ein Grab haben dürfen. In Postoloprty wurde beispielsweise ein Kompromiss gewählt - auf dem Denkmal darf nicht stehen, dass es sich um Deutsche handelte (angeblich war auch ein Tscheche irrtümlich unter sie geraten). Ohne die Arbeit der Menschen bagatellisieren zu wollen, die sich um eine zivilisierte Lösung bemühen (ich habe vor ihnen großen Respekt): Unser Totentanz sieht vor allem wegen der Behörden und verschiedenen Organisationen, die ihre Kraft höchstwahrscheinlich aus dem slawischen Osten schöpfen, eher wie eine monströse Posse aus. Wie lange wird es die Tschechische Republik noch aushalten, schwankend zwischen den Lebenden und den Toten zu balancieren?
Online-Ausgabe der Tageszeitung "Lidové noviny", lidovky.cz 17. August 2010
Übersetzung Sylvia Janovská