Dekrete sind nicht zu entschuldigen
Ungewollt, aber dennoch ist es Václav Klaus zu verdanken, dass er der Öffentlichkeit die fast schon vergessenen Vertreibungen der Sudetendeutschen wieder in Erinnerung gerufen hat. In der Tageszeitung MF Dnes schrieb er kürzlich: „Es ist wichtig, einen Mythos zu entkräften, demzufolge die Deutschen auf Grund der Beneš-Dekrete abgeschoben wurden. Das ist aber durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz passiert. Die Dekrete reagierten nur darauf.“ Weiter schreibt der Staatspräsident: „Die Dekrete wirkten nicht absolut, sie bezogen sich nicht auf diejenigen Personen, die sich aktiv für die Verteidigung der Interessen der Tschechoslowakischen Republik eingesetzt haben.“
Erstens: Es ist im Gegenteil wichtig, immer wieder den Mythos zu entkräften, dass über die Abschiebung bei der Potsdamer Konferenz entschieden wurde und dass die Dekrete nur darauf reagierten. Das Dekret Nr. 5/1995 über die Ungültigkeit einiger besitztümlicher Rechtsakte aus der Zeit der Besatzung wurde bereits am 19. Mai 1945 erlassen. Das Dekret Nr. 12/1945 über die Konfiszierung und Verteilung des landwirtschaftlichen Eigentums der Deutschen, Ungarn sowie der Verräter und Feinde der tschechischen und slowakischen Nation wurde am 21. Juni 1945 erlassen. Das Verfassungsdekret Nr. 33/1945 über die Aberkennung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft von Personen deutscher und ungarischer Nationalität wurde am 2. August 1945 erlassen. Den „Transfer“ der Deutschen aber erwähnt erst der Artikel XIII. des Abschlussberichtes der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945: „Drei Regierungen beurteilten diese Frage in allen Seiten und sie gaben zu, dass die deutsche Bevölkerung oder seine Teile, die in Polen, der Tschechoslowakei und in Ungarn verbleiben, abgeschoben werden müssen. Sie sind sich darin einig, dass jegliche Abschiebung geordnet und human verlaufen soll.“
Die erwähnten Dekrete können deshalb nur schwer eine Reaktion auf etwas sein, was erst danach beschlossen wurde. Aus der Formulierung des Berichtes wird außerdem deutlich, dass die Weltmächte einen geordneten und humanen Verlauf der Abschiebungen befürworteten. Die Abschiebungen in ihrer anfänglichen, wilden Phase liefen bereits in der ganzen Tschechoslowakei, sie wurden erst kurz vor der Potsdamer Konferenz etwas gemildert.
Zweitens: Die Dekrete betrafen Deutsche und Ungarn, wobei entscheidend war, ob sich der Betroffene bei der Volkszählung 1929 zur deutschen oder ungarischen Nationalität bekannt hat oder ob er Mitglied solcher nationalen Gruppen oder politischen Parteien wurde, die die Menschen dieser Nationalitäten vereinigt haben. Die Staatsbürgerschaft und ihr Eigentum durften wiederum diejenigen behalten, „die nachweisen können, dass sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich nie gegen die tschechische und slowakische Nation gestellt, sich aktiv am Befreiungskampf beteiligt oder unter nationalsozialistischem oder faschistischem Terror gelitten haben“. Bei der Beschlagnahmung landwirtschaftlicher Güter wurde ein Nachweis über die Beteiligung am Widerstand gefordert. Deshalb muss festgestellt werden: Bei den Beneš-Dekreten ging es um eine kollektive Schuldzuweisung an die Deutsche und Ungarn. Die Grundlage für die Bestrafung bildete dabei etwas, was nicht strafbar war: das Bekenntnis zu einer Nationalität oder eine Tätigkeit in einer legal anerkannten politischen Partei.
Die Dekrete kann man deshalb als Reaktion auf München und auf den Zweiten Weltkrieg betrachten. Es war eine hässliche und unentschuldbare Reaktion. Im Zusammenhang mit den neuesten Forderungen von Vaclav Klaus bezüglich der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages wird diskutiert, ob wir Tschechen Angst haben sollten. Diese Diskussion erinnert aber eher an eine Debatte von Lumpen, die mit einem Stein ein Fenster zerbrochen haben und jetzt Angst haben, verraten zu werden.
In einer Erklärung der Bürgerbewegung Antikomplex wurde kürzlich festgestellt, dass die „rechtlichen Ansprüche der Sudetendeutschen keine Chancen auf Erfolg haben“, und dass Klaus die Tschechen als Angsthasen darstellt, die immer wieder einen Haufen von bayerischen Rentnern fürchten“. Fürchten müssen wir uns aber ganz sicher nicht. Das, was wir ihnen damals weggenommen haben, wird uns niemand wegnehmen. Doch wir sollten uns vor ihnen zumindest ein bisschen schämen. Schade, dass dies in der Erklärung von Antikomplex nicht erwähnt wurde.
Mladá fronta Dnes, 15. Oktober 2009; Landeszeitung