Die Zivilcourage des Václav Klaus
Václav Klaus ist ein beharrlicher und hartnäckiger Gegner der Integration der Europäischen Union. Er kämpft gegen sie im Namen der Souveränität der Tschechischen Republik und wirft der EU ein Demokratiedefizit vor. Letztlich fordert Klaus nun eine Ergänzung des Vertrags von Lissabon um eine Fußnote, welche konstatiert, dass das tschechische Recht der Charta der Grundrechte der Union übergeordnet ist. (Eine ähnliche Ausnahme wurde bereits den Polen und den Briten zuteil.) Stein des Anstoßes ist für Klaus die Formulierung „Vermögensbesitz ist unanzweifelbar“. Der tschechische Staatschef hat Bedenken, dass die Gefahr des Durchbruchs der Beneš-Dekrete drohe und den Restitutionsansprüchen der Sudetendeutschen die Wehre geöffnet werden könnten, wenn diese Formulierung allzu wörtlich interpretiert würde.
Klaus ist in Europa der letzte Mohikaner. Aus den oberen Stockwerken der EU erklangen denn auch äußerst gehässige Reaktionen. Die EU hat Angst vor einer Situation, in der die erneute Ratifikation des gesamten Vertragswerks in allen Mitgliedsländern notwendig wäre. Der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz, verkündete, Europa habe eine halbe Milliarde Einwohner und der Präsident von zehn Millionen davon dürfe den Kontinent nicht an der Integration hindern. Der EP-Abgeordnete Jo Leinen schlägt für den Fall, dass Klaus die Unterzeichnung des Vertrags ablehnen würde, die Einleitung seiner Amtsenthebung durch die übrigen tschechischen Verfassungsinstitutionen vor. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy spricht vom Ausschluss Tschechiens aus der EU. Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, äußert sich vorsichtiger. Er hofft, dass Klaus als Präsident den Willen des Parlaments respektieren wird. Das Problem besteht darin, dass Klaus den Willen des Parlaments nicht respektieren muss. Er ist ähnlich wie der deutsche Bundespräsident in der Position eines „Mithüters der Verfassung“ und kann faktisch ein Veto gegen den Vertrag einlegen (das hier der Bock zum Gärtner gemacht wurde, ist eine andere Frage). Ähnliche Stimmen wie die der EU-Politiker funktionieren unbeabsichtigt als starke Argumente für den EU-Skeptizismus von Klaus.
Das Buch von John F. Kennedy „Zivilcourage“ (Profiles in Courage) basiert auf einer einfachen und schönen Idee: Die Demokratie ist ein System, in dem Ausdauer und Mut von sich aus Werte sind, ungeachtet dessen, ob die vom Menschen durchgesetzten Ideen richtig sind (oder besser gesagt, sich als richtig erweisen). Auch derjenige, der irrtümliche Ansichten vertritt, trägt zur Entwicklung der Demokratie bei, insofern er dies beharrlich und mutig tut (indem er beispielsweise Opponenten anspornt, ihre eigenen Ideen zu präzisieren und zu verbessern). Es bietet sich die Frage an, inwieweit Václav Klaus ein solcher Fall ist.
Klaus hat die Unterstützung eines beträchtlichen Teils der tschechischen Öffentlichkeit gewonnen und zwar auf bemerkenswerte Weise: Die Menschen haben Angst vor den sudetendeutschen Vermögensansprüchen – in tiefster Seele fühlen sie, dass es heute mit der Begründung der Konfiskation ein Problem geben könnte. Und zudem hat die Angst immer große Augen, wie ein tschechisches Sprichwort besagt. Da kommt der Präsident und ruft: Euch droht große Gefahr, aber fürchtet euch nicht. Ich bin da, um euch zu schützen. Es handelt sich um eine äußerst wirksame Methode. Ob sie korrekt ist, kann fraglich sein.
Dank der Wahl des Themas (die sudetendeutsche Gefahr) erlangte Klaus die Unterstützung der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM), die mit ihm die Leute seit dem Jahr 1990 ängstigt, sowie die etwas zurückhaltenderen Sympathien der Sozialdemokratischen Partei (ČSSD) von Jiří Paroubek (Paroubek hat sensible Ohren bezüglich Umfragen). Zweifelsohne wird Klaus auch in den Reihen der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) Anhänger finden. Das verspricht eine gebührliche Unterstützung im Parlament.
Auch in der Welt ist der tschechische Präsident nicht allein. Mit Verständnis kann er in Großbritannien und offensichtlich gleichfalls in Russland rechnen, dem die innere Zerstrittenheit der EU entgegenkommen dürfte.
Auch aus Sicht der Verfassung ist die Position von Klaus stabil. Er hat das Recht, nicht zu unterzeichnen. Erst seine Unterschrift stellt die Ratifikation dar. Praktisch kann er nicht aus dem Amt abberufen werden. Das Bemühen, irgendeinen anderen mit der Unterzeichnung zu betrauen, hat keine Chance auf Erfolg.
Klaus fordert, dass sich die EU indirekt zu den Beneš-Dekreten und der Lösung bekennen soll, die von der Potsdamer Konferenz abgesegnet wurde: „Die Staaten der EU erkennen an, dass das durchgeführt werden musste“. Überdies ist eine Garantie dieses Typs unnötig (das Unionsrecht gilt nicht rückwirkend).
Die Ausgangsposition von Klaus (sie wurde von seinem Sekretär Ladislav Jakl präsentiert) war hart: Klaus geht es nicht um eine politische Deklaration, sondern um Garantien von den übrigen EU-Staaten. Der irische Weg ist für den tschechischen Präsidenten unpassierbar. Nachdem er die EU erschreckt hatte, setzte Klaus ein freundlicheres Gesicht auf: Die Ratifikation des Vertrags von Lissabon bedeute nicht den Weltuntergang. Niemals habe er die erneute Öffnung des Ratifizierungsprozesses gewollt. Er würde sich mit einer Garantie irischen Typs und der Zusage zufrieden geben, dass die Fußnote in den Beitrittsvertrag mit Kroatien eingebaut wird. Auf die britischen Wahlen könne er nicht warten. Es sei notwendig, alles in der Größenordnung von Tagen und Wochen zu entscheiden.
Zusammengefasst und unterstrichen: Klaus riskiert nicht viel und bietet zudem der EU einen verführerischen Kompromiss (mit seiner unerbittlichen Ansicht) an. Umgekehrt setzt er die EU damit einer Mutprobe aus. Erstens: Wird die Union bereit sein, sich im Interesse eines Übereinkommens im nachhinein und überdies unnötig in die tschechischen Konfiskationen von 1945 zu verstricken? Und zweitens: Wird sie bereit sein, zuzustimmen, dass aus der Charta der Grundrechte ein Abreißkalender wird, eine Art Gute-Nacht-Programm für Euro-Spießbürger? Dass diese Charta von denen eingehalten wird, die sie einhalten wollen, und je weiter in Richtung Osten, um so weniger?
veröffentlicht in der Tageszeitung „Lidové noviny“, 20. Oktober 2009
Übersetzung Sylvia Janovská