Mit Bedacht ausgedacht
Diese Zeilen sind auf ihre Weise eine Ergänzung des Artikels, der heute (am Montag, dem 12. Oktober) in der tschechischen Tageszeitung „Lidové noviny“ erschienen ist.
Der letzte Schachzug von Präsident Klaus in der Schlacht um den Vertrag von Lissabon ist, wie es die Regel zu sein pflegt, technisch sehr gut ausgeklügelt. Vielleicht erhob sich gerade aus diesem Grund unter den Diplomaten in der EU eine Welle derart ohnmächtiger Wut. Irgendjemand äußerte angeblich, wenn der tschechische Präsident einen demokratischen Prozess bremse und einer Entscheidung des Parlaments genau wie dem Willen des Volkes Widerstand leiste, das er sich am Rande des Gesetzes bewegt und den Konsequenzen die Stirn bieten muss. Das Problem besteht darin, dass die tschechische Verfassung dem Präsidenten diese Handlungsweise ermöglicht. Diplomatem (angeblich französische und deutsche) befassen sich mit Erwägungen, wie Klaus abgesetzt beziehungsweise die tschechische Verfassung geändert werden könnte. Bislang erörtern sie diese Überlegungen mit ihren tschechischen Kollegen in den Couloirs. Der tschechischen Verfassung zufolge kann der Präsident wegen Hochverrats oder Unvermögens (aus dem Kontext geht hervor, dass es sich um Unvermögen aus gesundheitlichen Gründen handelt) des Amtes enthoben werden. Unser Präsident ist munter wie ein Fisch im Wasser und genau wie ein beträchtlicher Teil des Volkes davon überzeugt, dass der reine Patriotismus seine Schritte lenkt. Insofern es um eine Verfassungsänderung geht, besteht das Problem darin, dass sich das tschechische Parlament (genauer gesagt sein Unterhaus, die Abgeordnetenkammer) im Zustand des klinischen Todes befindet und das Verfassungsgericht seine Abkoppelung von den lebenserhaltenden Geräten vereitelt hat.
Der französische Präsident hat angeblich der Tschechischen Republik mit dem Ausschluss aus der Europäischen Union gedroht. Es ist schwer, sich Schritte vorzustellen, welche die Popularität des tschechischen Staatsoberhaupts in den Augen seines Volkes ausdrucksvoller steigern würden. Schon wieder sind wir Hussiten, und wie billig sind wir dazu gekommen! Und in der Schlacht mit den Brüsseler Kreuzrittern werden nur Hellebarden aus Papier eingesetzt.
Das Kalkül, das Klaus zu der Bedingung führte, die er jetzt im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon gestellt hat, ist im Grunde genommen klar: Der tschechische Präsident weiß, dass er von vornherein mit der öffentlichen Unterstützung rechnen kann (sie wird wahrscheinlich nicht 70 % betragen, aber andererseits größer als 30 % sein). Er weiß, dass die tschechischen Politiker (also die der Demokratischen Bürgerpartei /ODS/ und der Sozialdemokratischen Partei /ČSSD/, auf die es ankommt) sich nicht erdreisten werden, seiner Sorge um das Vaterland nachdrücklicher zu widersprechen. Und Klaus fühlt, dass es auch die EU schwer mit ihm haben wird, was sich bestätigt.
Die tschechische Gesellschaft war nämlich auch in den zwanzig Jahren Freiheit nicht zur Aufarbeitung fähig, dass die Beneš-Dekrete etwas sind, worüber man in einer anständigen Gesellschaft lieber nicht einmal sprechen sollte. Was wir zusammengescharrt haben, das haben wir zusammengescharrt. Niemand nimmt uns das mehr weg. Nur sollten wir uns zumindest ein bisschen schämen. Die Bedingungen von Klaus zeigen, dass wir das bislang überhaupt nicht können.
Doch auch die EU hat nie eingestanden, dass sich die Tschechen vielleicht nur ein bisschen für das schämen sollten, was sie unmittelbar nach dem Krieg getan haben. Ganz im Gegenteil, sie gab ihnen beim EU-Beitritt eine Art Absolution. Die EU ist eine Gemeinschaft, die in dieser Beziehung auf der Überzeugung erbaut ist, es seien lediglich und allein die Deutschen, wenn sich schon jemand in Europa schämen sollte.
Ihre derzeitigen Probleme mit Klaus und der Tschechischen Republik zeigen, wie sich eine derartige Einseitigkeit nicht auszahlt.
11. Oktober 2009
Übersetzung Sylvia Janovská